Archiv

Berufliche Schulen des Landkreises

Zur 33. Fraktionssitzung der SPD Kreistagsfraktion ging es um die Erhaltung der Standorte der  Beruflichen Schulen des Landkreises Vorpommern Rügen. Stralsund eventuell als Zentrum, Ribnitz-Damgarten und Sassnitz als Außenstellen. Auf Einladung der SPD Kreistagsfraktion berichteten die drei Schulleiter über deren tägliche Arbeit und über die unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Standorte. Die SPD Kreistagsfraktion wird dieses Thema weiter beobachten und begleiten.

 

Rede von Thomas Würdisch, Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses, zum Kreishaushalt 2013 am 2.9.2013

Sehr geehrte Frau Kreistagspräsidentin, sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste,

im Mittelalter wurde auf den Boden der Schatzkisten Hunde mit spitzen Zähnen aufgemalt. Dieses Hundebild sollte alle abschrecken, in die Schatztruhe zu greifen. Konnte man allerdings den Hund sehen, war die Schatztruhe schon fast leer. Wenn dies der Fall war, ist man auf den Hund gekommen.Nun will ich nicht sagen, dass unser Landkreis auf den Hund gekommen ist. Aber in einer sehr ernsten und schwierigen Haushaltslage befinden wir uns doch. Bei der Vorstellung und Einbringung der Haushaltssperre hat der Herr Landrat auf den sonst üblichen und von anderen gern verwendeten, kreisenden Pleitegeier verzichtet. Die von ihm verwendete Art der Darstellung unserer Haushaltssituation war wesentlich treffender und wird auch der tatsächlichen Finanzsituation unseres Landkreises gerechter. Natürlich gab es eine geringere Schlüsselzuweisung des Landes, die unseren Haushalt mit einem Negativsaldo überproportional belastet. Natürlich wird der Haushalt durch zahlreiche Pflichtaufgaben und den engen Vorgaben der Finanzausgleiche zwischen Bund, Ländern und Kommunen belastet, so dass die Spielräume der Gestaltung eng sind.Natürlich ist der Grund für die teilweise schlechte Finanzsituation der Gemeinden eine strukturelle Unterfinanzierung, die im Wesentlichen auf den Ausgaben für die Sozialleistungen beruht. Hier stellt sich die gesellschaftliche Frage, ob wir an diesen Stellen, vor allem an den Sozialleistungen, sparen können. Wir sind der Meinung, dass Sparen am Notwendigsten, was der Mensch zum Leben braucht, nicht möglich ist. Es gibt z. B. auch in unserem Landkreis ältere Menschen, deren Rente nicht ausreicht, ein Leben ohne Zuschuss zu führen. Deshalb muss, angesichts ständig steigender Belastungen der kommunalen Haushalte, für die Kosten der Unterkunft, der Eingliederungshilfe, der Grundsicherung im Alter und der Pflegehilfe bei nachge-wiesener Notwendigkeit, der Anteil des Bundes weiter erhöht werden. Darüber hinaus besteht Bedarf an der Übernahme der Eingliederungshilfe behinderter Menschen, um die Belastungen des kommunalen Haushaltes zu reduzieren.

Kommunen sind unserer Meinung nach erheblich systemrelevanter als alle Banken zusammen.

Das Land hat im Rahmen der Möglichkeiten, gerade unter dem Aspekt der auferlegten Schuldenbremse, trotzdem hohe Zuweisungen der Mittel an die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern auf den Weg gebracht. Sicher ist über den Verteilungsschlüssel gegenüber den vorherigen Haushaltsjahren mit der Gewichtung veränderter Steuereinnahmen und Soziallasten zu diskutieren, welche zu nicht unerheblichen Mindereinnahmen in unserem kreislichen Haushalt geführt hat. Aus Sicht der SPD Vorpommern-Rügen ist dies eine Notwendigkeit wenn man das Wort „Solidarität“ innerhalb der kommunalen Familie ernst nimmt.Es war daher wenig überraschend, dass der Landkreis entsprechend der Vorgaben aus dem Innenministerium die uns vorliegende Übersicht der Haushaltsperren vornehmen musste.          

Meine sehr geehrten Damen und Herren,                                                                                                         Die hinlänglich bekannten strukturellen Defizite im Haushalt des Landkreises bedürfen einer langfristigen und stabilen Lösung. Dabei sind nach unserer Rechtsordnung die Kommunen Bestandteil der Länder und haben klar definierte Aufgaben in der Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger zu erfüllen. Auch der Bund steht in der Pflicht. Ständig neu auf die Kommunen übertragene Aufgaben müssen auch dort finanziert werden, denn Subsidiarität, also die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, ist bekanntlich keine Einbahnstraße.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sehr geehrte Damen und Herren,

seit Bekanntwerden der Vorgaben durch das Innenministerium zu unserem Haushalt 2013 sind nun einige Tage vergangen. Leider hat es auch dieses Mal nicht geklappt die geplanten Einsparungen mit dem Haushalt- und Finanzausschuss zu diskutieren bzw. diese ihm vorab zur Kenntnis vorzulegen. Wir haben als erstes alles in der Presse gelesen und später die Beschlussvorlage erhalten. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass dies nicht der Stil vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, dem Kreistag und seiner Gremien sein kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir sind uns unserer Verantwortung für die kommenden Generationen bewusst. Ziel ist es  weiterhin unseren Landkreis Vorpommern-Rügen als attraktiven Lebens- und Wohnort für die Menschen gestalten. Das vorrangige Ziel ist es, Gestaltungsspielräume zu erhalten. Das geht nur, wenn der Kreis auch in der Lage ist, freiwillige Leistungen zu erbringen. Ohne Sport und Kultur, ohne ein lebendiges Vereinsleben leidet die Lebensqualität. Es gehört zum Kernbestand der kommunalen Selbstverwaltung, nicht nur Gesetze von Bund und Land zu vollziehen, sondern in eigener Verantwortung das Leben vor Ort zu gestalten. Und es liegt in der Verantwortung der Länder, die finanziellen Rahmenbedingungen für die Kommunen so zu setzen, dass sie einen eigenen Gestaltungsspielraum haben. Darum ersuchen wir unsere Vertreterinnen und Vertreter im Landtag und im Bundestag.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,

Beim Vollzug des Haushaltes müssen sich alle Beteiligten kräftig ins Zeug legen.

Unser gemeinsames Ziel muss es sein auch weiterhin vorzusorgen, zu investieren und zu konsolidieren.

Ich bitte Sie um Zustimmung der Beschlussvorlage.Denn nur mit Ihrer Zustimmung zu den Einsparungen erhalten wir eine endgültige Genehmigung des Haushaltes 2013.

Vielen Dank.

 


 

Rede von Ulrich Frohriep am 29.04.2013 vor dem Kreistag

Rede zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933

 

Als im Mai die Feuer brannten, stand einer dabei und sah zu, wie auch seine Bücher ins Feuer flogen: Erich Kästner. „Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt ...“

Er blieb im Land. Er war einer der Wenigen.

Später, viel später, am 10. Mai 1958, hat er auf einer Rede zum 25. Jahrestag der Bücherverbrennung bekannt: „Ich war nur passiv geblieben. Auch damals und sogar damals, als unsere Bücher brannten. Ich hatte angesichts des Scheiterhaufens nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt. Warum erzähle ich das? Warum mische ich mich unter die Bekenner? Weil keiner unter uns und überhaupt niemand die Mutfrage beantworten kann, bevor die Zumutung an ihn herantritt. Keiner weiß, ob er aus dem Stoff gemacht ist, aus dem der entscheidende Augenblick Helden formt.“

Ein anderer blieb nicht: Joseph Roth. Am Tag als Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, am 30. Januar 1933, verließ er Deutschland für immer.

Joseph Roth an Stefan Zweig:

„Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen.“

Stefan Zweig machte sich Illusionen, Er war der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller auf der Welt. Aber diese Welt verstand er nicht: Seine Bücher brannten. Seine. Das konnte doch nicht sein, das musste eine Verwechslung sein.

Er glaubte lange Zeit, dass es eine Art Vernunft geben könne, dass die Nationalsozialisten vielleicht doch nur die politisch Missliebigen, die Linken, die Kommunisten, die Kämpfer ins Visier nehmen würden, nicht die Stillen, die Zurückhaltenden. Wenn man sich nur ruhig verhielte, könne man vielleicht einen Kompromiss erreichen, könne man sich den deutschen Markt vielleicht erhalten. Ja, den Arnold Zweig greifen sie an, das konnte er noch verstehen, da gab es Gründe: Zionist, Kommunist, politischer Kämpfer, klar, dass die Nazis so einen hassten. Aber ihn?

Roth sein langjähriger Freund und klarsichtig wie kein zweiter, schrieb ihm: „Man verwechselt Sie nicht, weil Sie Zweig heißen, sondern weil Sie ein Jude sind, ein Kulturbolschewik, ein Pazifist, ein Zivilisationsliterat, ein Liberaler. Jede Hoffnung ist sinnlos. Diese ‘nationale Erneuerung‘ geht bis zum äußersten Wahnsinn.“ Und noch deutlicher: »Man verfolgt die Juden nicht, weil sie etwas verbrochen haben. Sondern weil sie Juden sind.« Zweigs Missverständnis war das Missverständnis vieler assimi­lierter Juden in Deutschland und Österreich in jenen Jahren. Das Missverständnis der Hoffnung, dass ihr Judentum, das ihnen selbst im Alltag kaum noch bewusst gewesen war, auch den Geg­nern unmöglich bewusst sein konnte.

Es war eine Zeit, die keinen Raum für Kompromisse ließ. Es gab da kein halbes Mitmachen in Deutschland. Es war die Zeit der Entscheidungen.

Roth an einen, der sich, auf Druck seines Verlages, von der Exilzeitschrift Klaus Manns, der Sammlung, distanziert hatte: „Seit wann ist es so, daß ein Schriftsteller sagen darf, ich muß lügen, weil meine Frau leben und Hüte tragen muß? Und seit wann ist es üblich, das gut­zuheißen? Seit wann ist die Ehre billiger als das Leben und die Lüge ein selbstverständliches Mittel, das Leben zu retten?“

Roth überlebte das Exil nicht, Stefan Zweig wählte den Freitod, er hatte die Hoffnung verloren.

Viele Autoren verließen Deutschland. Mussten es verlassen. Manche in großer Not, manche unter Lebensgefahr. Es gibt Beschreibungen. Sie landeten in der Sowjetunion, dort kamen sie vom Regen in die Traufe, wurden verhaftet, verschwanden in Sibirien. Sie fanden sich in Schweden wieder, in Brasilien, in Mexiko, in den USA. Sie hatten ihre Heimat verloren, und mit der Heimat die Sprache, sie wurden sprachlos und verstummten - bis auf wenige. Sie hungerten, sie froren. Hunderte, Tausende, aus Deutschland, aus Österreich.

Und als der Spuk zu Ende war, nach Millionen von Gefallenen und Ermordeten, kamen einige wenige zurück und erkannten ihre Heimat nicht wieder, und niemand kannte sie und niemand wollte sie kennen lernen. Die Bücher in den Regalen der Buchläden und Bibliotheken waren nicht mehr die Ihren. Sie waren vergessen worden.

Nicht alle, aber die meisten.

Als im Mai die Feuer brannten, wurde eine der schöpferischsten und experimentierfreudigsten Epochen der deutschen Kultur-Geschichte zu Grabe getragen. Autoren wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Thomas und Heinrich Mann, Carl von Ossietzky, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Arnold Zweig und Stefan Zweig schrieben Weltliteratur. Der Film entwickelte sich zum Massenmedium und setzte künstlerische Akzente. Der durch Walter Gropius in Weimar begründete Bauhausstil wurde zu einem der bedeutendsten Architekturstile des 20. Jahrhunderts. George Grosz sei für die vielen Künstler genannt, der mit seinen ätzend satirischen Darstellungen von Bourgeoisie, Justiz und Militär die sozialen Missstände der Weimarer Republik anprangerte. Die Musik: Hanns Eisler, Paul Dessau, sie kennt man noch. Andere sind verschwunden, verschollen, nicht mehr auffindbar: als hätten sie nie ein Buch geschrieben, nie eine Note komponiert, nie ein Bild gemalt.

Die Weimarer Republik gab es nicht mehr, die Demokratie, die keine Basis in der Bevölkerung hatte, die von Leuten geführt wurde, die keine Demokraten waren, die von Notverordnung zu Notverordnung regierte, deren Justiz und Verwaltung nie demokratisiert worden war, diese Demokratie war am Ende. Weltwirtschaftskrise, Hunger und soziale Not, aber auch die Sehnsucht nach einem anderen, einem besseren Leben, einem Leben ohne Saal- und Straßenschlachten, eine Führung durch einen Mann, der wieder Ordnung schaffte, endlich auch die Möglichkeit aufzusteigen in Positionen, die man erwünschte, auch zum Nachteil anderer. Es kommt viel zusammen, wenn man die zunehmende Akzeptanz eines Adolf Hitler erklären will.

Es hätte anders kommen können: „Bei allen historischen Belastungen der Weimarer Republik gab es keine Zwangsläufigkeit der deutschen Geschichtsentwicklung zum ‚Dritten Reich‘ hin. Jederzeit – auch in der Spätphase der Weimarer Republik – waren andere Entscheidungen möglich, die Hitler verhindert beziehungsweise seinen Aufstieg behindert hätten.“ So die Bundeszentrale für politische Bildung.

Ja, es gab den zaghaften Versuch, die NSDAP zu verbieten. Und man hatte auch Argumente, die ein Verbot ermöglicht hätten. Der Versuch scheiterte schon daran, dass die rechtsbürgerlichen Parteien einen Linksruck in Deutschland befürchteten.

1923 scheiterte Hitlers erster Versuch, an die Macht zu kommen. Er putschte und wurde verhaftet. Und änderte sein Konzept. 1924 schrieb er: „Statt die Macht durch Waffengewalt zu erringen, werden wir zum Ärger der katholischen und marxistischen Abgeordneten unsere Nasen in den Reichstag stecken. Wenn es auch länger dauert, sie zu überstimmen als sie zu erschießen, so wird uns schließlich ihre eigene Verfassung den Erfolg garantieren.“

Und 1930, als Zeuge in einem Hochverratsprozess: „Die Verfassung schreibt uns nur die Methoden vor, nicht aber das Ziel. Wir werden auf diesem verfassungsmäßigen Wege die ausschlaggebenden Mehrheiten in den gesetzgebenden Körperschaften zu erlangen versuchen, um in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form zu bringen, die unseren Ideen entspricht.“

1932 intervenierten 91 deutsche Hochschulprofessoren beim Reichspräsidenten, er möge doch endlich den rechten Mann zum Kanzler bestimmen.

Eine Reihe von Industriellen, Bankiers und Großgrundbesitzern taten ein Gleiches in einer – natürlich ‒ geheimen Eingabe.

Am 4. Januar 1933 einigten sich von Papen und Hitler ‒ hinter dem Rücken von Schleichers, zu der Zeit Reichskanzler, auf eine mit Präsidialvollmachten ausgestattete Regierung Hitler‒Papen mit zwei vorrangigen Aufgaben: „Die Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen in Deutschland“ und die „Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben“, und die „Abschaffung des Vertrages von Versailles ... und die Wiederherstellung eines sowohl in militärischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht starken Deutschlands.“

Am 30. Januar war Hitler Reichskanzler.

Am Abend des 27. Februar brannte der Reichstag.

Am 28. unterzeichnete Hindenburg eine ihm von Hitler vorgelegte „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“, die zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft setzte.

Mit den Grundrechten wurden der Rechtsstaat und die Demokratie auf „legalem“ Wege abgeschafft. Man kann die Verordnung vom 28. Februar 1933 als die Verfassungsurkunde des Dritten Reiches bezeichnen.

Es folgte der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte.

Dieser hatte allerdings noch keinen Erfolg.

Aber als die nationalsozialistische Studentenbewegung, die inzwischen an den Universitäten das Sagen hatte, die Verfemung von humanistischen Literaten ins Auge fasste, hielt sich die Führung der NSDAP zurück. Zu schnell war alles gegangen. Sie hatten die Wahlen im März gewonnen, die KPD ausgeschaltet, aber man fürchtete Reaktionen aus dem Ausland. Die Studenten jedoch hielten an ihrem Ziel fest. Und kaum einer der Professoren wagte zu protestieren. Doch Goebbels, noch gar nicht lange Propagandaminister, zögerte, in Berlin am 10. Mai eine Brandrede zu halten. Er hatte nicht geglaubt, dass MAN SCHON SO WEIT WAR.

Man war so weit.

Und er hielt seine Rede.

In fast allen Universitätsstädten des Deutschen Reiches brannten die Bücher, vom April bis in den Oktober hinein. Im heutigen Mecklenburg-Vorpommern in Rostock, in Greifswald, aber auch in den beiden „Landeshauptstädten“ Neustrelitz und Schwerin.

Man vernichtete den Geist, man vernichtete das Denken. Man entfernte die Bücher missliebiger Autoren aus den Bibliotheken, dann aus den Buchhandlungen. Man entfernte Sozialdemokraten, Kommunisten, vor allem aber die Bürger jüdischen Glaubens von ihren Positionen aus Wissenschaft, Medizin, Kultur, aus ihren Kanzleien, Fabriken und Geschäften, endlich aus ihren Wohnungen. Es begann.

Der Jude war zum Feind erkoren worden.

Man bereitete sich darauf vor, Menschen zu vernichten.

Und es geschah.

Auf dem Reichsparteitag im Herbst 1934 konnte Hitler erklären: „Die nationalsozialistische Revolution ist als revolutionärer, machtmäßiger Vorgang abgeschlossen! Sie hat als Revolution restlos erfüllt, was von ihr erhofft werden konnte...
Der Wille der nationalsozialistischen Staatsführung ist ein unbeirrbarer und ein unerschütterlicher. Sie weiß, was sie will, und will, was sie weiß. Sie hat zu dieser Selbsteinschätzung ein Recht, denn sie hat hinter sich das Zeugnis einer Bewährung, das geschichtlich nur sehr selten ausgestellt wird. Denn die Staatsführung des heutigen Reiches ist die Führung der Nationalsozialistischen Partei. Was dieser aber im kurzen Zeitraum von 15 Jahren gelang, wird dereinst den Kindern späterer Generationen unseres Volkes gelehrt werden als das ‘Deutsche Wunder‘... Die deutsche Lebensform aber ist damit für das nächste Jahrtausend endgültig bestimmt ... In den nächsten tausend Jahren findet in Deutschland keine Revolution mehr statt.“

Und wir Heutigen? Wir Nachgeborenen? Was wird man von uns erzählen in 20, 30, in 80 Jahren. Wie haben wir es verstanden, unsere Demokratie zu retten vor der neuen braunen Gefahr. Haben wir den Mut, wenn die Zumutung an uns herantritt? Wird man unsere Bücher lesen, unsere Musik spielen, unsere Kunst achten. Oder sind wir verschollen wie die vielen vor uns, ausgelöscht, namenlos. Ist es mit Zivilcourage allein getan, wenn die Politik sich verhält, als hätte sie keine Möglichkeiten, mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen diejenigen vorzugehen, die diesen Rechtsstaat abschaffen wollen? Sind die demokratischen Parteien tatsächlich nur noch mit sich selbst beschäftigt und sehen blind in die Welt? Manchmal habe ich den Eindruck.

Adolf Hitler ist vergangen? Wirklich?

Was sagte der langjähriger Bundesvorsitzende der NPD vor fünf Jahren: „Nationaler Sozialismus ist machbar.“ Und: Denken Sie ruhig an obiges Zitat des Adolf Hitler, „… unsere Entschlossenheit, die Kraft von Programm und Argumenten, sowie der Anspruch, auf der Grundlage von Recht, Freiheit und Demokratie die Führung Deutschlands zu übernehmen, sind ungebrochen.“

Recht, Freiheit und Demokratie. Brecht – im Arturo Ui ‒ sah das so: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Das Jahr 2008: Der Pateivorsitzende der NPD/Die Nationalen erklärt: „Ich will, dass alle Deutschen wieder eine Zukunft haben.“ Und lässt einen Flyer drucken:

„Das passiert, wenn die NPD regiert. Ein Maßnahmekatalog.“

Ich zitiere:

  • 19.  November:    Mit sofortiger Wirkung tritt das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft. Einen deutschen Pass erhalten ab sofort nur noch Personen, deren Eltern Deutsche sind.
  • 1. Dezember:       Am heutigen Tag sind weitere Gesetze des Maßnahmenpaketes der Bundesregierung zur Ausländerheimführung in Kraft getreten. In der BRD lebende Ausländer wurden aus dem deutschen Sozial- und Rentenversicherungssystem ausgegliedert und dürfen in der BRD ab sofort keinen Grund und Boden mehr erwerben.
  • 15. März:   Wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte, hat sich die Zahl der in der BRD lebenden Ausländer im ersten Jahr nach dem Regierungsantritt der NPD um 2.032.764 verringert.

Werden vorher Bücher brennen, KZs eingerichtet, wird ein neuer Holocaust inszeniert?

Soll das wieder Zukunft werden?

Die Ziele gibt es. Wenn auch die Internetseite, aus der ich eben zitiert habe, gelöscht worden ist. Ist man ist leiser geworden? Vor kurzem fand sich ein Flyer in Grimmener Briefkästen, Titel: „Volkstod stoppen! Die Zeit ist reif für unseren Widerstand!“ Das Thema also: Überfremdung. Darin las ich unter anderem: „Wären Sie einverstanden, wenn man Ihre Enkeltochter steinigt, weil sie ohne Burka in der Öffentlichkeit gesehen wurde, oder sie einem Ehrenmord zum Opfer fällt? ‒ Sie glauben, so etwas wäre in Deutschland niemals möglich? Dann irren Sie gewaltig.“ Zitat Ende.

Man ist noch da.

Einschub: Die Neufassung des Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches von 1871 in den Jahren 1959 und zuletzt 2011– Volksverhetzung ‒ beruhte auf der historischen Erfahrung, dass der Nationalsozialismus auch durch rechtliches Dulden von Hetzpropaganda ermöglicht wurde.

Wir können es auf jedem Kreistag erleben. Ausländer raus. Asylschmarotzer abschieben. Deutsche Geschichte ‒ verbogen, verdrängt, vergessen. Es wird hingenommen. Ja, schlimmer, an einer Äußerung eines Polizeibeamten unserer Region kann man ablesen, wie sehr dieses Gedankengut sich verselbständigt hat, gar Gemeingut zu werden droht, wenn er öffentlich verkündet, dass eine Ablehnung von Mitgliedern der NPD in den Kommunalparlamenten durch die gewählten Vertreter demokratisch gesinnter Parteien zu vergleichen sei mit dem Anheften von Judensternen im Deutschland der 30er Jahre. Einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die den Völkermord vorbereitete.

Geschichte verbogen, verdrängt, vergessen. Am Ende verharmlost.

Wollen wir dazu Beifall spenden, wie es übrigens geschehen ist?

Wir wollen es nicht.

Wir dürfen es nicht.

Wir dürfen es nicht zulassen.

 

Ich danke Ihnen.

 

Zitate, Zweig und Roth betreffend, sind dem Buch „Das Buch der verbrannten Bücher“ von Volker Weidermann, Köln 2008, entnommen.

 


 
 

WebsoziCMS 3.9.9 - 207534 -